Mit Zuckermolekülen gegen Krankheitserreger
Zucker hat viele negative Auswirkungen auf den Körper. Im Übermaß konsumiert, kann er zu Adipositas, Bluthochdruck oder auch Diabetes führen. Aber Zucker ist nicht gleich Zucker. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI und des Max-Planck-Institut für Kolloid-und Grenzflächenforschung (MPIKG) haben für ihre Zusammenarbeit die Polysaccharide im Blick. Gemeinsam untersuchen sie, wie sich die Anordnung von Zuckermolekülen auf DNA-Strukturen für die Entwicklung neuer antimikrobieller Wirkstoffe nutzen lässt. Das auf vier Jahre angelegte Forschungsvorhaben »Glyco3Display« wird im Rahmen des Fraunhofer-Max-Planck-Kooperationsprogramms gefördert und ist im Mai 2018 gestartet.
Polysaccharide, auch Glykane genannt, sind lange und komplexe Zuckermoleküle, die aus einer Kette von Monosacchariden, also beispielsweise Glukose oder Fruktose, bestehen. Stärke, Chitin oder auch Zellulose gehören zu den Polysacchariden. Aber auch auf der Oberfläche menschlicher Zellen finden sich zahlreiche Glykane. Krankmachende Bakterien oder Viren docken über sie an Körperzellen an und dringen dann in die Zellen ein. Die Zuckermoleküle auf der Membran menschlicher Zellen spielen also eine bedeutende Rolle bei Erkrankungen und sind daher von besonderem Interesse für die medizinische Forschung.
Weltweit erstmals gelang 2001 am MPIKG die automatisierte Synthese von Mehrfachzuckern, ein bahnbrechender Schritt in der Grundlagenforschung. Auf dem Feld der DNA-Technologien verfügt wiederum das Fraunhofer IZI über ausgewiesene Expertise. Die Forscherinnen und Forscher arbeiten u.a. mit der DNA-Origamitechnik, einem Verfahren bei dem DNA gezielt programmiert und gefaltet wird, um zwei- und dreidimensionale Strukturen im Nanometerbereich zu erzeugen. Im gemeinsamen Vorhaben »Glyco3Display« werden die beiden Forschungsbereiche nun erstmals zielgerichtet miteinander kombiniert.
Dazu müssen zunächst grundlegende Fragen beantwortet werden. »Uns interessiert insbesondere die Konformation von Polysacchariden in wässrigen Lösungen, also wie sich Molekülbindungen und die einzelnen Kohlenstoffatome räumlich anordnen. Die dreidimensionale Struktur der Moleküle spielt eine entscheidende Rolle für die Bindung der Krankheitserreger an Zellen«, führt Dr. David M. Smith, Projektleiter und Leiter der Arbeitsgruppe DNA-Nanosysteme am Fraunhofer IZI aus. Ein großer Vorteil der automatisierten Zuckersynthese ist die Möglichkeit, Moleküle präzise definiert und von gleichbleibender Qualität herstellen zu können. Mittels der DNA-Origamitechnik lassen sich die Zucker dann exakt positionieren und somit für Untersuchung und medizinische Anwendungen nutzbar machen.
Anwendungsmöglichkeiten eröffnen sich in Therapie und Diagnostik. Die Projektpartner wollen untersuchen, ob sich die Kombimoleküle an Rezeptoren auf der Oberfläche von krankmachenden Viren und Bakterien anlagern und sich daher für die Diagnose eignen. Die molekularen und biochemischen Eigenschaften der Zuckermoleküle könnten den Nachweis von Pathogenen deutlich präziser sowie signifikant günstiger und schneller gestalten als Antikörper-basierte Verfahren, vermuten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Die Idee für den therapeutischen Einsatz ist, die krankmachenden Bakterien und Viren mit entsprechenden Zuckermolekülen zu übersättigen und so gleich den ersten Schritt einer Erkrankung, die Bindung an und damit das Eindringen in menschliche Zellen zu verhindern. PD Dr. Sebastian Ulbert, Leiter der Abteilung Immunologie am Fraunhofer IZI, erläutert: »Es sind bereits Nasensprays gegen virale Krankheitserreger auf dem Markt, die auf Zuckerstrukturen setzen. Allerdings werden die verwendeten Zuckerstrukturen bislang in einem aufwändigen Prozess aus Algen gewonnen. Hier die Vorteile synthetischer Zucker nutzen zu können, wäre ein großer Schritt.«
Als Krankheitserreger haben die Forscherinnen und Forscher zunächst K-Stämme der E. coli-Darmbakterien und Influenzaviren im Blick. In den S3-Sicherheitslaborarbeiten des Fraunhofer IZI sollen zudem Zuckerbindungsstudien mit dem Dengue-Virus durchgeführt werden. Das Virus ist Auslöser des Dengue-Fieber, einer von Stechmücken übertragenen Tropenkrankheit, das in Folge der Globalisierung bereits in Europa und den USA aufgetreten ist.
»Großes Ziel für die Zukunft ist neben der Identifizierung neuer DNA-Polysaccharid-Wirkstoffe gegen Krankheitserreger daher auch die Entwicklung eines Hochdurchsatzverfahren zur Herstellung bestimmter synthetischer Zuckermoleküle«, so Prof. Dr. Peter H. Seeberger, Direktor des MPIKG und Erfinder der automatischen Synthese von Mehrfachzuckern. Die Zusammenarbeit zwischen MPIKG und Fraunhofer IZI bietet die Chance, die geplanten Grundlagenuntersuchungen innerhalb eines Projekts in die Anwendung zu überführen.
»Glyco3Display« ist nach »LegaScreen«, bei dem die Grundlagen für einen Frühtest zur Diagnose von Legasthenie entwickelt werden, das zweite Projekt im Fraunhofer-Max-Planck-Kooperationsprogramm, an dem das Fraunhofer IZI beteiligt ist.