Dürfen Eltern ein Kind zeugen, um Geschwister zu retten?

Die Beurteilung von wissenschaftlichen Fortschritten in der Stammzellforschung und deren Ergebnissen, besonders im Hinblick darauf, ob und wie diese für Patienten in die Anwendung gebracht werden sollen, ist komplex. Um das Thema zu diskutieren, traf sich die Gesellschaft für Regenerative Medizin e.V. (GRM) in einer Kooperationsveranstaltung mit dem Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig mit Experten aus Klinik und Forschung. Neben reellen Anwendungsmöglichkeiten wurde auch die Familiengeschichte im Film »Beim Leben meiner Schwester« von Professor Dr. Frank Emmrich, Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie, Dr. Eberhard Lampeter, von der Vita 34 AG, Professor Dr. Holger Christiansen, Leiter der Kinder-Hämatologie des Universitätsklinikums Leipzig sowie Prof. Christoph Enders, Lehrstuhlinhaber für öffentliches Recht an der Universität Leipzig, thematisiert. »Uns geht es darum, die Öffentlichkeit und insbesondere auch Patienten, die von bereits zugelassenen Stammzelltherapien profitieren könnten, aufzuklären und mit Missverständnissen oder Vorurteilen aufzuräumen«, fasst Ulrike Schwemmer, 1. Vorsitzende der GRM die Ziele der Gesellschaft zusammen.

Ein Film – aber keine Fiktion

»…Als Sara und Brian Fitzgerald erfahren, dass ihre zweijährige Tochter Kate an Leukämie erkrankt ist, trifft das Paar eine schwerwiegende Entscheidung. Da weder ihr Sohn noch sie selbst als passende Spender für die kleine Kate in Frage kommen, entschließen sie sich, ein drittes Kind zu bekommen, das genetisch auf die Bedürfnisse seiner großen Schwester abgestimmt ist.« Das ist der Plot der Ende August 2009 erschienen Verfilmung des Romans von Jodi Picoult. Der Film bringt die in der europaweit entfachten Debatte grundlegenden Fragen zur Sprache: Welche Möglichkeiten bietet die Medizin und welche können ethisch vertretbar genutzt werden? Wie weit darf der Mensch überhaupt gehen, um Leben zu retten? Er präsentiert jene ethische Situation, die mit den gegenwärtigen und zukünftig prognostizierten Möglichkeiten der Gentechnologie und Stammzellforschung möglich sein könnte. »Die im Film dargestellte Geburt eines Kindes mit ähnlichem Gewebetyp wie ein Geschwisterkind ist beim derzeitigen Stand der medizinischen Möglichkeiten und rechtlichen Regelungen keine Fiktion mehr«, resümiert Prof. Frank Emmrich.

 

Präimplantationsdiagnostik – Chancen und Risiken

Unter dem Begriff Präimplantationsdiagnostik (PID) wird in der Regel die Analyse von zwei Zellen verstanden, die dem mehrzelligen Embryo entnommen werden. Dies geschieht, um vor der Implantation genetische Anomalien festzustellen. Auch kann das Geschlecht des Embryos bestimmt werden. Der Embryo wird der Gebärmutter der Frau nur dann transferiert, wenn die Analyseresultate für beide Zellen übereinstimmen und keine genetische Anomalie vorliegt. Andere Embryonen werden sofort vernichtet oder für die Forschung gebraucht. In Deutschland wird PID als ethisches Thema diskutiert. In den meisten Industrienationen wird sie bei medizinischer Indikation erlaubt oder zumindest toleriert. »Hier würde ich mir für die Zukunft wünschen, dass die juristische und ethische Komponente den medizinischen Fortschritt mitträgt. Es sollte vermieden werden, dass eine abstrakte Vorstellung von der `Würde des Menschen´ dazu führt, dass existenzielle Probleme von Einzelnen und Familien in den Hintergrund oder gar die Illegalität gedrängt werden«, so Prof. Dr. Christoph Enders.

 

Stammzellen und ihre Potenziale

Im Film werden der jüngeren Schwester immer wieder Stammzellen und Knochenmark entnommen, um Kates Überleben zu sichern. »Die Heilungsrate aller Patientengruppen, die heute eine Stammzelltransplantation erhalten, beträgt 50 Prozent. In der Leukämie-Rezidiv-Situation hingegen werden heute Heilungsraten von 35 bis 40 Prozent erreicht, wobei nicht alle Patienten eine Stammzelltransplantation erhalten«, erklärt Prof. Dr. Christiansen die Zusammenhänge. Adulte (herangereifte, festgelegte) Blutstammzellen sind überwiegend Knochenmarkstammzellen, die im Blut zirkulieren und daraus relativ einfach gewonnen werden können. Seit zwanzig Jahren werden sie erfolgreich unter anderem bei der Behandlung von bösartigen Krebserkrankungen des Blutes eingesetzt.

Kate leidet an einer akuten promyelozytären Leukämie (APL). Die unterschiedlichen Therapieformen basieren zunächst auf einer Chemotherapie, um das krankheitsbedingt zerstörte Blutbild wiederherzustellen. Weitere Therapiemöglichkeiten ergeben sich durch eine passende Stammzellentransplantation. Stammzellen sind Körperzellen, die noch unspezialisiert sind. Durch Zellteilung sind sie in der Lage sich auszudifferenzieren, beispielsweise in Nerven-, Herz oder Hautzellen. Nabelschnurblut-Stammzellen zum Beispiel sind nach der Abnabelung des Kindes in der Nachgeburt enthalten. »Dieses Blut ist reich an jungen Stammzellen, die sich in viele Zellarten entwickeln können. Eltern sollten es zur Geburt für spätere Behandlungen sichern lassen. Es ist schon bei mehreren Tausend Patienten mit Erfolg eingesetzt worden und man verbindet damit große Hoffnungen für die Therapie weiterer Erkrankungen«, so Dr. Eberhard Lampeter, Vita 34 AG.

Die Veranstaltung in Leipzig stieß auf ein sehr interessiertes Publikum und wird in Zukunft fortgeführt.